In meinen bisherigen Beiträgen in diesem Blog ist es in der Regel darum gegangen, einzelne empirische Themenbereiche zu thematisieren oder überhaupt die Möglichkeiten einer Kulturgeschichte harter Popmusik theoretisch zu erkunden. Am Anfang stand dabei der Gedanke – bevor man sich überhaupt daran macht, eine solche Kulturgeschichte in postmodernem Sinne zu schreiben -, sich zu fragen, was denn mögliche Themen einer solchen Historie sein sollten und könnten. Ich habe dies in meinen Prolegomena zu einer Kulturgeschichte niedergelegt und somit auch das Programm meiner Forschung in diesem Online-Forum charakterisiert. In einem folgenden Beitrag ging es mir darum, allgemein in theoretische Begrifflichkeiten zu fassen, was harte Musik ihrer kulturellen Form nach, ihren Diskursen nach, eigentlich ist – oder besser, als was wir sie abbilden können. Ich habe hierzu den Begriff des “kulturellen Orts” benutzt, den die Kulturgeschichte harter Musik in sich für KünstlerInnen, MultiplikatorInnen und Publikum darstellt. Ich möchte eingedenk dieser beiden Aspekte noch einen weiteren theoretischen Aspekt in diesem kurzen Post streifen.

Wenn wir heute über Geschichte und Kulturgeschichte nachdenken (es scheint mir in früheren Phasen der Geschichtsschreibung andere Kategorien der HistoriographInnen gegeben zu haben),1 dann erscheinen Jahre oder Tage, oft konstruiert als bestimmte Zäsuren und Ereignisse oder Prozesse (etwa die Französische Revolution), als die wesentlichen Grundeinheiten der Geschichte. Wenn wir Geschichte denken und erzählen, sind historische Ereignisse, die sich eben über solche plakativen und herausstechenden Tage und Jahreszahlen identizieren und benennen lassen, gleichsam die kleinste Einheit der Geschichte. Was der Physik Einheiten und Formalkonstrukte wie Meter und Kilogramm in der Messung sind, sind der Kulturgeschichte Jahre und Tage von Entscheidungsprozessen und Zäsuren. Über sie messen und bemessen wir die Geschichte: Wenn wir etwa die Geschichte des “Dritten Reichs” charakterisieren, lassen wir diese Erzählung in der Regel mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Janur 1933 beginnen und beenden sie mit der bedingungslosen Kapitulation Hitler-Deutschlands am 8. Mai 1945. So wird durch die Einheiten von Tagen und Jahren die Geschichte des “Dritten Reichs” erfahrbar. Sie wird erfahrbar, da wir eine Erzähleinheit der Geschichte konventionalisiert haben, die dies ermöglicht, indem sie Empirie kategorial leistet.

Ich möchte hierzu einen Gedankenbeitrag für die Kulturgeschichte harter Musik entwickeln. Auch für diese Kulturgeschichte sind Tage und Jahre von erheblicher Bedeutung (wenn man etwa an das globale Schlüsseljahr 1968 als Voraussetzung des Entstehens von Metal Musik im engeren Sinne denkt).2 Im Diskurs der Kulturgeschichte harter Musik lässt sich zwar einiges an solchen Zäsuren und Ereignissen festmachen, doch scheint mir methodisch ein anderer Zugang sinnvoller: Ich möchte vorschlagen, für die Erzählung dieser Kulturgeschichte, in zeitlicher, räumlicher und allgemein kultureller Hinsicht die Einheiten von Langspielplatten bzw. Alben als “Basiseinheit” anzunehmen; dies ergibt sich gleichsam stringent und deduktiv aus meinen theoretischen Gedanken bisher: Alben von Bands bzw. KünstlerInnen erscheinen an einem bestimmten Tag, in einem bestimmten Jahr; sie machen es möglich, diese Geschichte zu periodisieren.

Zugleich sind sie die Grundeinheit der historischen Zyklen dieser Kulturgeschichte: Alben und Langspieler sind die Grundlage, nach denen sich die Tour- und Konzerttätigkeit der KünstlerInnen richtet (nicht umsonst sprich man vom “Album-Tour-Zyklus”, der sich beständig zu wiederholen scheint); zugleich sind sie für ihr Erscheinungsdatum in ihrer kulturellen Gesamtwirkung (Zusammenstellung der Tracks, Produktionsweise, Cover, Werbediskurs zu Alben usw.) gleichsam eine Entität, in der sich die Subjektivierung und Identität der KünstlerInnen (und der Menschen, die ihre Kunst rezipieren) einer Brennlinse gleich zu einem bestimmten historischen Datum zeigt. Somit sind vor allem Alben die Träger der Ereignisse dieser Kulturgeschichte. So repräsentiert die Veröffentlichung von Black Sabbaths gleichnamigen Debütalbum, das am 13. Februar 1970 im Vereinigten Königreich erschien, in gewissen Sinne die “Geburt” von Heavy Metal. Ich möchte daher die historische Einheit des Albums als kleinste historische Einheit der Kulturgeschichte harter Musik vorschlagen. Durch diese Einheit können wir diese Geschichte periodisieren, quantifizieren und qualifizieren. Selbst in den heutigen Mediendiskursen der “Sozialen Netzwerke” und Streaming-Dienste scheint sich die Stabilität dieser Messens- und Ermessensform zu zeigen: Nach wie vor sind vor allem Alben die bestechende Ereignisse der Kultur harter Musik – in Rezeption, Kritik, Leben und Erleben dieser Musikformen.


  1. Vgl. zu einer guten Einführung ins wissenschaftliche historische Denken: Stefan Jordan: Theorien und Methoden der Geschichtswissenschaft. Paderborn 2009. 

  2. Vgl. hierzu: Robert Gildea u.a. (Hg.): Europe’s 1968. Voices of Revolt. Oxford 2013.