Black Metal ist in vielen Belangen eine der extremsten Kulturformen, in denen harte Populärmusik seit den 1980er-Jahren auftrat.1 Die Ursprünge der Black Metal-Subkultur liegen in den frühen 1980er-Jahren. Insbesondere die frühen Werke von Venom (diskursstiftendend war das Album “Black Metal” aus dem Jahre 1982), deren Musik in raueres Gewand als jene vieler anderer Metal-Gruppen gekleidet war, sowie die frühen Werke von Mercyful Fate um den Hauptprotagonisten “King Diamond” traten die “erste Welle” des Black Metal los. Dies war eine hauptsächlich europäische Kulturgeschichte: Venom kam aus dem Vereinten Königreich, während Mercyful Fate aus Dänemark stammte.

Es folgte bald der entscheidende Kulturbeitrag des Schweden “Quorthon” von Bathory, der in den Black Metal das prägende Stilmittel des typischen gutturalen Gesangs einbrachte. So zu hören auf den Debütalbum “Bathory” aus dem Jahre 1984. Auch der Beitrag der Schweizer Band Celtic Frost, sowie deren Vorgängergruppe Hellhammer, dürfen in den 1980er-Jahren nicht als wesentliche Diskursquelle vergessen werden. In der Kultur, die diese Bands stifteten und die durchaus schon durch intertextuelle und netzwerkartige Querverbindungen über Regionen und Nationen hinweg gekennzeichnet war, trat der Satanismus oder zumindest eine antichristliche Grundhaltung als oft gemeinsames Merkmal auf. Anders als in vielen späteren Black Metal-Strömungen blieb der Satanismus dabei jedoch oft auf die kulturelle Oberfläche beschränkt, war weniger eine tiefe Überzeugung denn ein Transportvehikel für eigene Diskurse des “Anders-Seins”, des Protests und der Opposition.

Dies ist in der spezifischen europäischen Kultur der 1980er-Jahre zu verorten. Diese transnationale Kultur war durch verschiedenste Protestbewegungen (Friedensbewegungen, Anti-Atom-Bewegungen) und Formen der kulturellen Neuorientierung (alternative Bewegungen und “grüne” Strömungen) gekennzeichnet. Ohne diesen Kontext des Beginns einer Phase der Geschichte “nach dem Boom” ist der Entstehungszusammenhang von Black Metal unschlüssig.2 Man brachte in den Diskurs neue Formen des Devianten ein und verlieh den aufkommenden Oppositions- und Neuorientierungsformen durch die musikalische Sprache der “ersten Welle” des Black  Metal eine schlagkräftige kulturelle Spitze. Diese frühe Kultur des Black Metal blieb jedoch in ihrem Grad der intertextuellen Vernetzung, vor allem in ihrer Ausbildungskraft einer eigenen Subkultur und einer eigenen Suböffentlichkeit beschränkt. Man kannte einander zwar und nahm auch künstlerisch aufeinander Bezug, aber die tiefe Ausbildung einer eigenen “imagined community” des Black Metal sollte erst später erfolgen.

Hierzu waren wiederum die Kulturprozesse in Skandinavien der vor allem frühen 1990er-Jahre ausschlaggebend. Schon im Jahre 1986 hatte die Band Mayhem um Øystein “Euronymous” Aarseth eine Demoproduktion  schlechter Klangqualität veröffentlicht, die im Rahmen ihres Vordringens in neue und extreme Bereiche der Ästhetik einflussreich sein sollte. Jener “Euronymous” sollte zum “Vater” der “zweiten Welle” des Black Metal werden, die vor allem von Norwegen in  den frühen 1990er-Jahren ausging. Mit Figuren wie eben “Euronymous”, Varg “Count Grishnack” Vikernes und anderen frühen Bands der neuen Welle wie Darkthrone, Immortal, Satyricon oder Emperor. Diese neue Dynamik des Diskurses ist in der heutigen Debatte, auch in der wissenschaftlichen Betrachtung, geläufig, doch ist die Frage, warum sie sich entwickelte, nicht gelöst.

Im Gegensatz zu den frühen KünstlerInnen des Black Metal war die “zweite Welle”, die von Norwegen aus in die europäischen und globalen Subkulturen ausstrahlte, von einem bestimmten Set von Vorstellungen kultureller und auch religiös-ideologischer Natur durchdrungen, die einen hohen Grad von Gemeinschaftswirkung erzielten. Hier ist vor allem wiederum “Euronymous” zu nennen. Der heutige Mythos eines “Inner Circle”, der sich um die Schlüsselpersonen in der Szene dieser Zeit entwickelt habe, ist einerseits ein Erinnerungsort der heutigen Black Metal-Kultur, andererseits aber auch eine diskursive Chiffre für die “imagined community” des Black Metal, die in den frühen 1990er-Jahren entstand.

Das Gedankengut der “zweiten Welle” war niemals vollkommen in sich homogen; wichtige diskursive Fragmente fanden sich in einem sehr ernsthaft interpretierten Satanismus verschiedener Spielformen, in einem oft verbreiteten Nihilismus, teils auch Anarchismus, in einem Elitendenken und auch Sozialdarwinismus sowie generell einer Idee der Exklusivität, Authentizität und auch der “Auserwähltheit” in Bezug auf die eigenen Vorstellungen. Ich denke, dieser spezielle kulturelle Diskurs wird in seinem Entstehen nur verständlich, wenn man ihn auf die allgemeine Kulturgeschichte Europas und der Welt der direkt vorhergehenden Jahre bezieht. Black Metal gilt oft als die noch “extremste” Form des musikalischen Ausdrucks im Genre des “Extreme Metal”. Es geht also um Kulturen der Extreme.

Eine schon in der Namensgebung frappierende Übereinstimmung findet sich, wenn man in den zeitgenössischen zeithistorischen Diskurs blickt: Eric Hobsbawm veröffentlichte im Jahre 1994 sein Werk “Age of Extremes. The Short Twentieth Century, 1914 -1991”.3 Beide Codierungen der Kulturgeschichte treten im Signum des “Extremen” auf. Was bedeutet dies? Es heißt, dass die Geschichte des Black Metal vor allem seit den 1990er-Jahren auch als Teilgeschichte, gar als kulturelles Fortschreiben der Kulturgeschichte des “Zeitalters der Extreme”, also des “kurzen 20. Jahrhunderts”, verfasst werden sollte, das die Extreme des Nationalsozialismus und des Kommunismus, aber auch der Globalisierung hervorbrachte.

Die “extreme” Kulturgeschichte des neuen Black Metal in den frühen 1990er-Jahren mit ihren auch kriminellen Straftaten (so ermordete Varg Vikernes 1993 Øystein Aarseth; der Schlagzeuger Bård “Faust” Eithun von Emperor ermordete in Lillehammer 1992 einen Homosexuellen; im Umfeld der Schlüsselfiguren der Subkultur Norwegens kam es zu zahlreichen weiteren Straftaten wie etwa dem Feuerlegen in zahlreichen Kirchen) ist nur verständlich, wenn man sie auch in ihrer Symbolizität als “basso continuo” der Geschichte des “Zeitalters der Extreme” betrachtet.

Der Nationalsozialismus mit seiner kriminellen und menschenverachtenden, schließlich menschenvernichtenden “Kultur” und Ästhetik, dann die anderen Diktaturen und Faschismen der Zeit von 1918 bis 1945, aber auch danach, dann schließlich die totalitäre “Kultur” des “Realsozialismus”, brachten in breite Kulturbereiche Pole des Extremen ein, die vorher unbekannt waren. Dies umfasste eine weitgehend totale Unterwerfung unter bestimmte Ideen und Vorstellungen, damit war in der Konzeption der kulturellen Orte des “kurzen 20. Jahrhunderts” ein extremes Hinausschieben der Grenzen dessen, was kulturell ertragbar und auch “normal” war, ein ganz elementarer Prozess der Weltgeschichte.

Black Metal ab den frühen 1990er-Jahren nahm diese Grenzverschiebungen auf und trieb sie noch auf die Spitze, indem man Extreme auslotete und eine Dystopie, ein Gebräu aus extremem Satanismus, extremer Misanthtropie und auch des Individualismus usw. in den Diskurs einbrachte. Das “kurze 20. Jahrhundert” endete somit in kultureller Hinsicht nicht mit dem Jahr 1991 wie das Hobsbawm propagierte, sondern zog sich bis in die norwegische Subkultur der Jahre bis etwa 1995. Das “Zeitalter der Extreme” war auch ein “Zeitalter der extremen Musik”.

Es ist sicherlich so, dass dieses scheinbare “Verständnis” für die kriminellen Entwicklungsstränge des Black Metal in dieser Epoche nicht dazu führen darf, diese zu verharmlosen. Die Interpretation dieser Taten als Fortschreibung des “Zeitalters der Extreme” bedeutet aber gerade dies nicht; im Gegenteil, ich gehe davon aus, dass bei den Mordhandlungen, die Vikernes und Eithun in dieser Zeit verbrachen, nicht nur “szenespezifische” Motive eine Rolle spielten, sondern auch Motive wie Konkurrenzdruck, allgemeine Homophobie oder Streit um Macht und Einfluss. Auch in der heutigen Szene sind dies keine unbekannten Gedanken. Dies ist die eine Seite dieses Kulturkomplexes. Die andere Seite besteht darin, dass in den Akten der Gewalt – vor allem in den Kirchenbränden, die gelegt wurden -, neben der tatsächlichen Brutalität, Menschengefährlichkeit und Verabscheuungswürdigkeit immer auch eine symbolische Dimension der Gewalt gegeben war.

Diese Ästhetik der kriminellen Handlungen macht nur Sinn, wenn man sie als “basso continuo” der Gewaltgeschichte des “kurzen 20. Jahrhunderts” sieht. Sie nimmt deren Richtungsentwicklung auf und passt sie in die spezifische Gewaltsituation Norwegens in den 1990er-Jahren ein. Dies bedeutet weder Verständnis noch Billigung, aber ein tieferes kulturhistorisches Verständnis dieser Prozesse. Die Kulturgeschichte der “zweiten Welle” des Black Metal kann daher nur als Teilepisode des “Zeitalters der Extreme” gedeutet werden. Die Gewalt, die sie auslöste, ist Teil der Gewaltgeschichte des “kurzen 20. Jahrhunderts”.

Für den heutigen Zusammenhang im Kulturdiskurs der harten Musik sind noch andere Aspekte ausschlaggebend. Nach dem Abebben der “zweiten Welle” ab Mitte der 1990er-Jahre war sicherlich die Kulturgeschichte des Black Metal nicht zu Ende. In gewissem Sinne hatte er sich als eigenes Genre und kultureller Entwicklungsstrang der harten Musik etabliert – und er gedeiht bis heute. Vieles der Extremität ging verloren (was nicht verdrießlich stimmen muss), aber vieles überlebte auch und wurde zur Grundlage einer recht stabilen europäischen und auch globalen Subkultur.

Für diese Subkultur sind in meinen Augen heute weniger die Aspekte der Pole der Extremität denn allgemeiner die Konstitution des eigenen kulturellen Ortes dieser Spielformen interessant und untersuchungswürdig. Ich denke, in der bis heute entstandenen Kultur von Black Metal findet sich eine auf die Zukunft verweisende Form der Kulturkonstitution, die eine höchstgradige kulturelle Pluralität, eine höchstgradige Verwirklichung des Modells der Dezentrierung und der Entgrenzung, aber auch ein Höchstmaß des Nebeneinanders von einander scheinbar widersprechenden, also ambivalenten, konfliktuösen und teils gar paradoxen Diskursströmen zu gelebten Wirklichkeiten werden ließ.

Black Metal ist in diesem Sinne unserer Zeit voraus – was wiederum nicht heißt, alles positiv zu werten, das in dieser Szene proklamiert wird (so ist vor allem der “National Socialist Black Metal” zutiefst abzulehnen). Fragen, die auf diese Vorwegnahme der tatsächlichen  Verwirklichung der Postmoderne verweisen (Pluralität, Dezentrierung, Ambivalenz, praktisches Leben mit Konflikten und Widersprüchen), sind unter anderem diese: wie ist etwa möglich, dass einerseits im Black Metal vielfach eine ganz rigide ausgeprägte Form der Heteronormativität vorrangig ist und zugleich aber Homosexualität, die hierzu im Widerspruch steht, seit einigen Jahren auch in der Kultur des Black Metal lebbar wurde? Ferner: wie ist es möglich, dass einerseits Black Metal Gewalt in vielen Punkten durchaus propagiert, auch verherrlicht, zugleich aber die Achtung des Eigentums, die “Gewalt des Individuums über seine kulturelle Sphäre” geachtet wird? Dies sind scheinbar gegenläufige Entwicklungen. Sie machen gemeinsam betrachtet nur im Sinne einer Verwirklichung des Kulturkonzepts der Postmoderne Sinn, in welchem derartige “widersprüchliche” Ströme im Gespräch stehen können. Ich möchte bei der Rolle von Gewalt im Black Metal beginnen.

Black Metal, Gewalt und der Staat

Gewalt spielt im Black Metal sowohl thematisch, leider auch gelebt und propagiert, eine zentrale Rolle.4 Es ist so, dass Black Metal einerseits in vielen Bereichen der Lyrics das Thema der Gewaltätigkeit, der Gewaltausübung, des Kriegs und auch der Kriminalität aufnimmt und in seinem Sinne repräsentiert. Dies ist keine genuine  “Leistung” des Black Metal; wenn man etwa die Motive des Thrash und Death Metal schon seit den frühen 1980er-Jahren betrachtet, wird die intertextuelle Entwicklung dieser Prozesse offensichtlich. Ich denke jedoch, dass sich in der heutigen Bezugnahme auf Gewalt im Black Metal sowie auch in deren medialer und popkultureller “Verwirklichung” durch die Musikaufnahme und -rezeption, durch die Selbststilisierung und die Vermarktung, ein eigener kultureller Ort zeigt, der ganz spezifisch für die Postmoderne ist und nur durch deren Konzepte sinnvoll erfasst werden kann.

Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat das Konzept der “symbolischen Gewalt” geprägt.5 Dieses Konzept bringt auf den Punkt, dass Gewalt, praktiziert durch Machtdiskurse, auch symbolische Dimensionen hat. Diese bestehen etwa in der Aufrechterhaltung der traditionellen Rollenmuster von Frauen und Männern, die in der heutigen Kultur zwar durchaus kritisiert werden, aber noch immer vorherrschend sind. Diese Stereotype der Tradition werden nicht nur gelebt, sondern immer wieder auch durch textuelle und visuelle Symbolprozesse stabilisiert und im Zentrum der Kultur gehalten. So sind etwa die Metaphern vom “richtigen Mann” oder der “echten Weiblichkeit” auch als Mechanismen der symbolischen Gewalt zu sehen, die bestimmte soziale Ordnungen aufrechterhalten.

Beziehen wir dies auf die Subkultur des Black Metal: Auch dieser verbindet seine Rhetorik der Diskursfelder der Gewalt mit symbolischen Prozessen. So sind die Metaphern des “Satanismus” und der “Trueness”, die die Authentizität der MusikerInnen und ihrer RezipientInnen beschreiben sollen, auch Mechanismen symbolischer Gewalt; sie schreiben normativ fest, was man tun und mögen sollte, vor allem aber auch, was nicht getan werden sollte und was man zu verabscheuen habe. Damit ist die Kulturgeschichte der Gewalt im Black Metal jedoch bei weitem noch nicht zu Ende erzählt. Ich denke, um diese Geschichte auch nur annähernd verstehen zu können, ist es notwendig, zurück zu den kriminellen Akten der Szenefiguren der 1990er-Jahre zu gehen. Diese haben eine eigene Kultur- und Rezeptionsgeschichte.

Zwar zeitigten diese kriminellen Akte und Verbrechen vor allem auch aktuell wirksame Schäden, doch zeigen sich vor allem in den Brandlegungen in Kirchen auch symbolische Akte der Gewalt, die einer näheren Betrachtung bedürfen. Sicherlich, zuerst ist zu beklagen, dass hierdurch höchst wertvolle Kulturdenkmäler zerstört wurden und teils verlorengingen. Dies ist aber nicht der Kern der Sache: Dieser besteht in meinen Augen darin, dass mit diesen Brandlegungen immer auch Akte der symbolischen und kulturellen Gewaltausübung verbunden waren. Um einen aktuellen Bezug herzustellen: dies ist gar nicht unähnlich zu den Gewaltvideos der zu verabscheuenden Hinrichtungen von Geiseln durch die TerroristInnen vom “Islamischen Staat” in Syrien und im Irak, die deren Macht und Kampfwillen symbolisieren sollen.

Auch der Feuerschein, der von den Kirchbränden im Norwegen der frühen 1990er-Jahre ausstrahlte, war ein medialer und kommunikativer Akt. Er vermittelte die Gewaltausübung und die Macht, die sich die ProtagonistInnen eigenmächtig in die Hände legten, um ihren Kampf gegen das “Normale” zu verwirklichen. Diese Brände zerstörten damit nicht nur Kulturmonumente, sondern erschufen zugleich – so paradox dies klingen mag – einen eigenen kulturellen Ort, an dem die TäterInnen Black Metal leben konnten. So widersprüchlich und auch ablehnenswert diese Taten auch waren – sie zerstörten nicht nur, sondern erschufen auch einen Gewaltdiskurs, der bis heute wirkt. Er befeuert heute die Nostalgie der Szene und wurde zu einem Erinnerungsort, der viel an Gemeinsamkeit stiftet.

Es scheint so zu sein, dass es sich bei den Kirchenbränden um vor allem symbolische Gewalt handelte. Ich denke, man muss über dieses Konzept noch hinausdenken; bei den Brandlegungen handelte es sich meiner Meinung nach auch um kommunikative Gewalt. Was soll dies bedeuten? Es heißt, dass neben der aktuellen kriminellen Zerstörungswirkung, die die Folge war, sowie den symbolischen Dimensionen, die in die Bilder der “Trueness” miteingeflochten wurden, immer auch ein Aspekt kommunikativer Gewalt gegeben war. Die TäterInnen wollten nicht nur akut gewaltsam zerstören, sondern durch ihre gelebte Gewalt Grenzen aufbrechen, verschieben und neu ziehen. Die Grenze, die vor einem Kirchenbrand in der Frage des Umgangs mit der Kultur des als “normativ” betrachteten Christentums gezogen wurde, ist eine ganz andere denn die nach einem Kirchenbrand.

Die TäterInnen zerstörten in ihren zu verurteilenden Handlungen nicht nur Kirchen, sondern übten kommunikative Gewalt aus, indem sie die Sinntradition angriffen, die dem Christentum inhärent war und die man als “totalitär” betrachtete (es ist durchaus ironisch zu sehen, dass die Ideologie der TäterInnen genauso den gleichsam “totalen” Einsatz der Körper für die “Sache” des Black Metal einforderten). Diese kommunikative Gewalt führt uns auf die Fährte, die zu verfolgen ist. Black Metal bedeutete also in den frühen 1990er-Jahren eine kommunikative Gewaltgeschichte. Die entscheidende Frage besteht nun darin, gegen wen sich dieser Gewaltdiskurs richtete.

Am Beispiel der Kirchenbrände erscheinen die Symbole und Orte des Christenstums die zentralen Gewaltziele gewesen zu sein. Ich denke, das trifft nur zum Teil zu. Blicken wir etwas zurück in die Kulturgeschichte der Gewalt und der Macht in der Moderne und der Frühen Neuzeit: seit dem Beginn der Kulturgeschichte des modernen Staats am Ende des Mittelalters (vor allem ab dem 15. Jahrhundert in Europa) wurde der Staat zum Inhaber des Monopols von Gewaltausübung und Machtausübung.6

Der Staat – und damit entwickeltes sich das Dogma vom Gewaltmonopol des modernen Staates – wurde zum tendenziell singulären Zentrum der Gewaltgeschichte, die gesamte Gewalt- und Machtgeschichte der Neuzeit seit dem 15. Jahrhundert ist eine Geschichte des modernen Staates. Der moderne Staat ist seit der Frühen Neuzeit der einzige legitimierte Inhaber der Gewaltausübung. Die Kulturgeschichte der Gewalt wurde damit nicht nur zu einer “monozentralen” Geschichte, sondern auch zu einer Geschichte, die die Gewaltkultur des modernen Staates mithin legitimierte. Natürlich war die  Vorstellung des Gewaltmonopols in historischen Situationen auch ein Idealbild – vielfach waren auch Fragmentierungen der Gewaltdiskurse gegeben; aber eben mit der alles bestimmenden Tendenz der Bündelung der Gewalt in der “monozentralen” Kulturgeschichte des modernen Staats seit dem 15. Jahrhundert in Europa. In welchem Zusammenhang steht dies mit der Gewaltkultur des Black Metal in den frühen 1990er-Jahren?

Der Black Metal, wie er in den frühen 1990er-Jahren vor allem in Norwegen entstand, schrieb nicht nur das “Zeitalter der Extreme” fort, sondern dezentralisierte auch die Machtkultur im modernen Staat. Der Diskurs und vor allem die gelebten Handlungen der Schlüsselfiguren – auch ihre Morde und Brandlegungen – sind Akte, die daraus hervorgingen, dass sie für sich beanspruchten, auch ein Recht auf Gewaltausübung zu haben. Diese Handlungen richteten sich also nicht primär gegen die Kirche, sondern gegen das Gewaltmonopol des Staats. Sie können als Fortschreibung der Kulturgeschichte des “Zeitalters der Extreme” gelesen werden, die nicht nur extreme Kritik verinhaltlichten, sondern in der Handlung schon dem Staat das Gewaltmonopol entrissen. Dies ist nicht nur kulturell neuartig, sondern auch gefährlich – dies steht außer Zweifel. Die Kulturgeschichte des Black Metal ist aber nur begreiflich, wenn sie in diesem Sinne auch als eine Geschichte der Dezentralisierung des modernen Gewaltmonopols, also einer Verwirklichung der Dezentrierung der Gewalt im Sinne der Postmoderne gelesen wird.

Dies ist gefährlich, die weitere Entwicklung ist noch nicht absehbar. Zwar wissen wir vor allem seit Michel Foucaults “Geschichte der Gouvernenmentalität”,7 dass Macht in der Regel auch ein dezentraler Prozess ist, doch stellt die Forschung bis heute keine zukunftsweisenden Modelle zur kulturellen Regulation von Gewalt zur Verfügung, die auch wirklich gelebt werden können. Der kulturelle Ort von Black Metal ist demnach vor allem auch ein kultureller Ort der Opposition gegen die moderne Einrichtung des Staats.

Als gelebte Kultur will sie diesem sein Gewaltmonopol entreissen und die Gewaltausübung in diesem Sinne dezentrieren. Die große kulturelle Zukunftsaufgabe des Umgangs mit dieser popkulturellen Subkultur besteht also vor allem auch darin, in ihr den dezentralen Umgang mit Macht und Gewalt schützend für alle Beteiligten zu regulieren. Zusammegefasst: die Kulturgeschichte des Black Metal vor allem seit den 1990er-Jahren ist bis heute schon eine Ansatzverwirklichung der kulturellen Postmoderne, die jedoch im Zaum gehalten werden muss. Ich möchte nun zu einem weiteren Paradoxon dieser Kulturgeschichte übergehen – dem Umgang oder Nicht-Umgang mit Heteronormativität und Homosexualität im Black Metal.

Black Metal, (Homo-)Sexualität und Pluralisierung im scheinbaren Widerspruch

Es ist durchaus so, dass die Subkultur des Black Metal, deren Wurzeln in den frühen 1980er-Jahren zu verorten sind, oft nicht gerade durch Toleranz in der Frage der Lebensstile “glänzte”. Spezifisch auch im Umfeld der “zweiten Welle” des Black Metal im Skandinavien der 1990er-Jahre wurden diskriminierende, rassistische, neonazistische oder sonstwie intolerante Verlautbarungen der Handelnden anrüchig; sie sind in keiner Weise zu verharmlosen, sind aber auch in der Kulturgeschichte der kommunikativen Gewalt des Black Metal in der Fortschreibung des “Zeitalters der Extreme” zu sehen. Im Black Metal wurde – ganz im Gegenteil zum Nimbus des Protests gegen die “Durchschnittsgesellschaft” – das Konzept der Heteronormativität nicht nur hochgehalten, sondern auch gewaltsam gelebt und in der Gewalt gegen die dadurch diskriminierten ausgedrückt.8

So ermordete wie schon erwähnt der damalige Schlagzeuger “Faust” der höchst einflussreichen Band “Emperor” im Jahre 1992 in einem Park in Lillehammer einen homosexuellen Mann. Die Tat schlug hohe Wellen, als sie erst im Jahr darauf geklärt werden konnte. Aus “Fausts” Äußerungen ist nicht ganz klar, in welchem symbolischen Zusammenhang sie mit dem kulturellen Lebensstil des Black Metal hängt. Ein Faktum ist jedoch, dass die Tat in ihrer Rezeptionsgeschichte sehr wohl mit dem kulturellen Ort des Black Metal in Zusammenhang gebracht wurde. Sie wurde teils als tatsächliches Leben dieser Kultur gedeutet; dies ist natürlich aufs Schärfste zu verurteilen, verdeutlicht aber wiederum auch, dass Black Metal in diesem Sinne als Geschichte kommunikativer Gewalt gelten kann. Die Tat “Fausts” ist in ihrer Rezeptionsgeschichte in die heteronormative “Leitkultur” des Black Metal eingefügt worden.

Eine weitere ähnlich geartete Mordhandlung setzte Jon Nötdtveidt, Kopf der Black Metal bzw. später vor allem Death Metal-Gruppe Dissection. Nödtveitdt ermordete zusammen mit einem Bekannten, gar Vertrauten aus dem Umfeld das organisierten Satanismus, einen homosexuellen Algerier und wurde für diese Tat 1997 zu zehn Jahren Haft verurteilt. Die Rezeptionsgeschichte der Tat ist sehr analog zu jener von Eithuns Mord; teils setzt man sich auch in der Szene von ihr ab, es gab und gibt aber auch zahlreiche Stimmen, die diese verabscheuungswürdige Handlung als “stimmig” mit dem Gedankengut des Black Metal und der spezifischen Kultur des Death Metal bewerten, die Dissection verkörperte. Viele andere Stimmen aus der Szene verunglimpfen oder diskriminieren Lebensstile abseits der Heteronormativität, insbesondere die männliche Homosexualität. Die Kultur des Black Metal trägt also teils höchst “modernistische” Strömungen in sich, die diskriminieren und das Althergebrachte zur Norm erheben. Dies ist die eine Seite.

Wie passt es hiermit zusammen, dass im Bereich der harten Musik, besonders auch im Black Metal, seit jüngerer Zeit auch vor allem männliche Homosexualität teils recht offen und tolerant gelebt wird? So “outete” sich als eine der ersten Schlüsselfiguren im Jahre 1998 Rob Halford, der damalige Ex-Sänger von Judas Priest, öffentlich; seinem Szenestatus als “Metal God” tat dies keinen Abbruch – im Gegenteil, er wurde teils sogar zum “role model”, das anderen Personen Halt und Zukunftsvisionen in ihrem eigenen sexuellen Lebensstil gab. Das “Modell Halford” wurde im Diskurs teils zum Inbegriff auch der Freiheit, der Autonomie und der Selbstorganisation, für welche die Kulturen des Heavy Metal auch standen. Es folgten andere Halfords Beispiel.

Noch widersprüchlicher erscheint die jüngste Kulturgeschichte der Homosexualitäten im Diskurs des Black Metal: Kristian Eivind “Gaahl” Espedal, ehemaliger Sänger der Black Metal-Band Gorgoroth “bekannte” sich im Jahre 2008 öffentlich zu seiner Homosexualität, die er auch in seinem direkten kulturellen Umfeld des Black Metal recht offen lebte. Espedal wurde 2010 in Bergen zur “Homosexuellen Person des Jahres” gewählt. Und: Espedal lebte seinen eigenen Kulturstil nicht nur in seinem direkten kulturmusikalischen Umfeld, sondern nahm den Preis im Scheinwerferlicht der Medien entgegen. Die Rezeptionsgeschichte war vor dem Hintergrund der scheinbar hegemoniellen Heteronormativität im Black Metal durchaus bemerkenswert – Espedal wurde nicht aus der Kulturgemeinschaft des Black Metal hinausgeschrieben oder sonstwie ausgeschlossen. Im Gegenteil, seine öffentliche Person wurde zum kulturellen Ort einer Strömung im Black Metal, die zwischen Black Metal und Homosexualität keinen Widerspruch sah.Wie passen nun diese höchst unterschiedlichen Erzähltstränge des Black Metal seit den 1990er-Jahren zusammen?

Einerseits scheint Heteronormativität einen Code des Diskurses darzustellen, andererseits scheint auch offen gelebte Homosexualität möglich zu sein. Ein scheinbarer Widerspruch, ein Paradoxon, eine Ambivalenz, die auf scheinbare Widersprüche in der Kultur von Black Metal hinweist. Ich denke, dies trifft den Punkt überhaupt nicht. Ich denke, dass im Gegenteil beide Strömungen in der Kulturgeschichte von Black Metal gleichberechtigt nebeneinander stehen und gelebt werden können. Dies ist nur auf den ersten Blick ein Widerspruch oder ein Paradoxon. Heteronormativität und offene und tolerierte Homosexualität sind zwei Lebensstile, die im heutigen Black Metal gleichberechtigt nebeneinander stehen können.

Black Metal zeigt sich damit nicht nur als Kultur der Intoleranz, sondern ganz zeitaktuell auch als ein kultureller Ort, der es auf höchst bemerkenswerte Weise schafft, Widersprüche zu regulieren. Dies bedeutet, dass Black Metal heute nicht nur kommunikative Gewalt institutionalisiert, sondern in seinem Diskurs auch kulturelle Ambivalenz grundsätzlich auflöst und möglich werden lässt. Wie dies vor sich geht, ist bisher weitgehend unbeleuchtet und stellt in meiner Sicht ein dringendes Forschungsdesiderat dar. Entscheidend ist, dass somit Black Metal schon heute eine tatsächliche kulturelle Verwirklichung der Postmoderne mit ihre Potential darstellt, Widersprüche lebbar zu halten. Heteronormativität und offen praktizierte Homosexualität sind zwei gleichberechtigte kulturelle Wege im Diskurs des Black Metal.

Fassen wir die Ergebnisse dieses Beitrags zusammen: einerseits ist Black Metal als kultureller Ort kommunikativer Gewalt zu sehen. Dies ist gefährlich, verweist aber grundsätzlich auf die Kritik an der Geschichte des modernen Staats, der sein Gewaltmonopol auch zur Unterdrückung und Vernichtung der “Anderen” einsetzte. Black Metal bedeutet einen Versuch, Gewaltausübung und Machtausübung zu vervielfachen, zu “splitten” und zu dezentrieren. Diese Verteilung der Gewaltausübung auf verschiedenste gesellschaftliche Personen und Organisation ist einerseits gefährlich, entspricht jedoch ganz der Kulturgeschichte der Dezentrierung in der Postmoderne. Black Metal ist daher ebenso ein Versuch, den Weg ins Heute und in die Zukunft der Gewaltausübung zu suchen. Dass dieses mit neuen Mechanismen der Gewalt- und Machtkontrolle verbunden werden müsste, steht außer Frage. Black Metal ist hier ein Vorreiter der Ankunft der Postmoderne nach dem Fall des Kommunismus am Ende des “Zeitalters der Extreme”.

Andererseits zeigte sich, dass im Black Metal in Bezug auf Homosexualitäten scheinbar widersprüchliche Entwicklungen vorliegen. Rigide Heteronormativität und offen praktizierte männliche Homosexualität bestehen nebeneinander. Und: der Konflikt zwischen beiden kann scheinbar mühelos reguliert werden. Dies wird  nur einsichtig, wenn man den Diskurs des Black Metal als ein kulturelles Kommunikationssystem in der Geschichte sieht, das durch eine fundamentale Pluralität und funktionierende Mechanismen zum Ausgleich in Konfliktsituationen gekennzeichnet ist. Black Metal ist demnach eine der ersten wirklichen Realisierungen der Kulturkonzepte der Postmoderne und kann durchaus als kulturelles Zukunftsmodell gelten.

Diese beiden zweischneidig zu sehenden Entwicklungstendenzen scheinen mir derzeit die Kulturgeschichte des Black Metal am stärksten zu kennzeichnen. In der Zukunft könnte es darum gehen, Black Metal einerseits mit pluralen Kontrollmechanismen seiner Gewaltpotentiale zu versehen (Einbindung in die Diskurse zur Verhinderung von Fundamentalismen und Extremismen im Rahmen von NGOs); andererseits kann die europäische und globale Gesellschaft vom Black Metal lernen, indem sie seine Ressourcen, scheinbare Widersprüche lebbar zu gestalten, untersucht und zum Modell macht.


  1. Vgl. zum deutschsprachigen Diskurs: Michael Moynihan/Didrik Søderlind: Lords of Chaos – Satanischer Metal. Der blutige Aufstieg aus dem Untergrund. Wien 2005; sowie: Christian Dornbusch/Hans-Peter Killguss: Unheilige Allianzen. Black Metal zwischen Satanismus, Heidentum und Neonazismus. Münster ³2007; und: Martin Langebach: Die Black-Metal-Szene. Eine qualitative Studie. Saarbrücken 2007; auch: Roman Seidl: Ideologie im Black Metal. Eine psychologische Analyse zu Neuheidentum und rechtsextremer Gesinnung. Saarbrücken 2008; schließlich: Alexander Fuchs/Carsten Majewski: Black Metal. Musiksoziologische Analyse der Darstellungsformen und -inhalte einer Subkultur. Hamburg 2000; Vgl. zum englischsprachigen Diskurs: Garry Sharpe-Young: Rockdetector. A-Z of Black Metal. Berlin 2001; sowie: Karl Jones: A Blaze in the Northern Sky. Black Metal Music and Subculture. An Interactionist Account. Manchester 2002; schließlich: Jason Forster: Commodified Evil’s Wayward Children. Black Metal and Death Metal as Purveyors of an Alternative Form of Modern Escapism. Saarbrücken 2008. 

  2. Vgl. hierzu etwa folgenden Band: Lutz Raphael/Anselm Doering-Manteuffel: Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970. Göttingen 2008. 

  3. Vgl. hierzu die deutsche Übersetzung: Eric Hobsbawm: Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts. München/Wien 1995. 

  4. Vgl. hierzu etwa: Sarah Chaker: Black und Death Metal. Eine empirische Untersuchung zu Gewalt, Religion und politischer Orientierung. München u.a. 2004. 

  5. Vgl. hierzu Pierre Bourdieu: Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft. Frankfurt/Main 1987; jünger siehe auch: Stephan Moebius/Angelika Wetterer (Hg.): Symbolische Gewalt. Themenschwerpunktheft der Österreichischen Zeitschrift für Soziologie. Heft 4 (2011). 

  6. Vgl. hierzu aus dem jüngsten Diskurs: Stefan Brakensiek u.a. (Hg.): Herrschaft und Verwaltung in der Frühen Neuzeit. Berlin 2014. 

  7. Vgl. hierzu: Michel Foucault: Sicherheit, Territorium, Bevölkerung. Geschichte der Gouvernementalität I. Frankfurt/Main 2004; sowie: Ders.: Die Geburt der Biopolitik. Geschichte der Gouvernementalität II. Frankfurt/Main 2004. 

  8. Zum Konzept der Heteronormativität siehe etwa: Jutta Hartmann u.a. (Hg.): Heteronormativität. Empirische Studie zu Geschlecht, Sexualität und Macht. Wiesbaden 2007; zu Rollenstereotypen in der harten Musik siehe auch: Susanne Sackl: Männerbilder im musikalischen Genre Heavy Metal. Eine Videoclipanalyse. Masterarb., Graz 2010.