Die Neue Kulturgeschichte als Ausgangspunkt

Die Kulturgeschichte ist im wissenschaftlichen Diskurs der Historiographie seit dem Einsetzen des sogenannten “Cultural Turn” vor ungefähr fünfundzwanzig Jahren zur dominanten Form der Debatte geworden. Dies hat sowohl Vor- als auch Nachteile; als Nachteil kann die “Beliebigkeit” des Begriffs der “Kultur” gesehen werden, die mit der Zunahme seiner epistemischen Verwendung verbunden ist; als großen Vorteil kann die enorme Anzahl an Richtungsimpulsen gelten, die mit der Neuen Kulturgeschichte vor allem nach den globalen Zäsuren um 1989 (Zusammenbruch des Kommunismus in Europa und der Welt) verknüpft sind. Als besonderes Interesse der Neuen Kulturgeschichte kann im Tenor ihrer Debatte das Ansinnen gesehen werden, herauszufinden, wie für die Menschen in der Geschichte kultureller Sinn und kulturelle Bedeutung entstehen. Dies betrifft sowohl die individuellen als auch die kollektiven Dimensionen von Identitätssuche, Sinnsuche und Lebenspraxen.

Aus diesem grundsätzlichen Erkenntnisinteresse ergeben sich in epistemischer Denkweise die narrativen und empirischen Schwerpunkte, die die jüngere Kulturhistorie setzt: hierzu zählen unter anderem die Identitätsforschung, die Untersuchung von Grenzen und Grenzräumen, Bilder, Metaphern und symbolischer Formen der Kultur und Kommunikation, Medien und Mediengeschichte, Aspekte der Performativität, Geschlechterkonstruktionen und -dekonstruktionen, Aspekte der Theatralität von Kulturen und nicht zuletzt der Dezentrierung, Dekonstruktion und Transationalisierung sowie Europäisierung der Kulturgeschichte im Rahmen der Globalisierung nach 1989. Ich möchte in meinen Beiträgen zur Kulturgeschichte der harten Musik insbesondere auch die letztgenannten Aspekte der Europäisierung und Transnationalisierung der Kulturen in den Blick nehmen.

Es scheint mir zunehmend so zu sein, dass die Rezeptions- und Vermittlungsgeschichte der harten Musik auch eine Geschichte der Entgrenzung und Transnationalisierung ist. Die Grundlagen dieses Zugriffs finden sich in der Einführungsliteratur zur Neuen Kulturgeschichte1 sowie zur europäischen Kulturgeschichte.2

“Harte” Musik als definitorischer Rahmen

In meinem Blog soll es darum gehen, diese epistemischen Prämissen auf die empirischen und narrativen Kernbereichen der Formen der Popmusik zu legen, die als “harte” Musik gelten können. Es soll also im Fokus stehen, zu untersuchen, wie in diesen Diskursen dezentrierter, transnationaler und auch europäischer kultureller Sinn entsteht. Dies heißt einerseits, zu erforschen, wie es zur Produktion und Vermittlung dieser Musikdiskurse kommt; andererseits bedeutet dies, zu erfragen, wie deren Rezeption, Pragmatik, Präsentation und Medialisierung vor sich gehen. Es ist hierzu zuerst sinnvoll, ganz breit und einführend – im Sinne von einigen Prolegomena zu einer Kulturgeschichte der harten Musik – zu definieren, was unter dem empirischen Bereich verstanden werden soll. Es läge hierzu nahe, einfach dem breiteren Diskurs zu folgen und von “Metal Musik” bzw. “Heavy Metal Musik” zu sprechen; sicherlich, diese Genres und ihre Unterkategorisierungen stellen seit der Musikgeschichte vor allem der 1980er-Jahre die dominant in Betracht zu ziehenden Aspekte dar.

Ich möchte jedoch schon im definitorischen Zugriff auf die Empirie einem dekonstruktiven Zugriff folgen und einen eigenen Begriff in diesem Sinne einbringen. Von harter Musik zu schreiben und zu sprechen, erfolgt in dieser Absicht. Mit einem solchen dekonstruktiven Denkmodus ist grundsätzlich ein Aspekt der Dezentrierung und Europäisierung verbunden.3 Was bedeutet es in dieser Hinsicht von “harter” Musik zu sprechen? Mit diesem definitorischen label versuche ich schon in der einführenden Bezeichnung des empirischen Feldes auf den Punkt zu bringen, wie diese Formen der Musik produziert, aufgeführt, repräsentiert, verbreitet, wahrgenommen und rezipiert werden.

Das Eigenschaftswort “hart” soll veranschaulichen, welche Assoziationen die Musikschaffenden, die Vermarktung, die Medien, die Aufführungsverantwortlichen und schließlich die RezipientInnen mit diesen Formen der Popmusik verbinden. Im Tenor und in der Regel geht in diesen Weisen, Popkultur durch Musik zu erschaffen, darum, in emotionaler, visueller und auditiver Hinsicht “Härte” zu transportieren. Es geht um den Rhythmus, den “Groove”, eine Ästhetik der Härte sowie darum, an die Emotionen der RezipientInnen zu appellieren, die sich mit dem Begriff der Härte verbinden lassen. Ein rhetorisches, epistemisches und diskursives Bild für die harte Musik findet sich in der Namensgebung “Stahl”, welche ich für meinen Blog gewählt habe. Unter harter Musik – also dem empirisch-musikkuturellen Rahmenbereich, der hier im Mittelpunkt stehen soll – kann ergo jegliche popkulturelle Form und Ästhetik stehen, die beim Publikum Emotionen und Assoziationen von Härte bezweckt und auch hervorruft.

Der gegenwärtige fach- und populärwissenschaftliche sowie mediale Diskurs

Bevor ich dazu übergehe, im Sinne der Charakterisierung einiger Prolegomena zu einer Kulturgeschichte harter Musik einige narrative Richtlinien zu einem solchen Ansinnen zu formulieren, sei noch in aller Kürze auf den momentanen fachwissenschaftlichen Forschungsstand sowie auf den breiteren, medialen und populärwissenschaftlichen Diskurs hingewiesen. Vor allem jüngere VertreterInnen der Kulturwissenschaften, insbesondere auch der Kulturgeschichte, beschäftigen sich in jüngster Zeit in fachwissenschaftlicher Hinsicht mit der harten Musik. Es entwickelt sich zusehends ein Forschungsfeld der “Metal Music Studies” bzw. im deutschsprachigen Fachdiskurs der “Heavy Metal Studies”.4

Im Umfeld der “International Society for Metal Music Studies” soll ab Oktober 2014 eine eigene Fachzeitschrift mit dem programmatischen Titel “Metal Music Studies” herausgegeben werden.5 Insbesondere sind auch von jüngeren ForscherInnen zum Thema gerade in der deutschsprachigen Debatte zahlreiche Qualifikationsarbeiten entstanden.6

Spezifisch auch im Rahmen von fachwissenschaftlichen Tagungen wurde und wird im gegenwärtigen Diskurs über harte Musik debattiert und verhandelt.7 Schließlich thematisiert der breite mediale “Szenediskurs” sowie die Populärwissenschaft Heavy Metal und seine Spielarten in recht breiter Manier.8 Es verhält sich also so, dass die harte Musik durchaus ein Thema der Forschung, aber auch des breiteren Interesses der Menschen in Europa und der Welt ist. Man kann also von einem einsetzenden historiographischen Trend sprechen;  die Felder der “Metal Music Studies” bzw. der “Heavy Metal Studies” befinden sich in hoher Dynamik und es handelt sich um eine wissenschaftlichen Subdiskurs, der im Entstehen begriffen ist oder gar schon begründet wurde. Es gilt, die weiteren Entwicklungen zu beobachten und abzuwarten.

Mögliche Themen einer Kulturgeschichte harter Musik

Ich möchte an dieser Stelle dazu übergehen, einige narrative und empirische Fokussierungen sowie Themenlinien zu nennen, die eine Kulturgeschichte harter Musik bearbeiten bzw. umfassen könnten. Bei diesen möglichen Themen handelt es sich gleichsam immer um Formen der individuellen und kollektiven Identitätskonstruktion. Wie schon im Diskurs der allgemeineren Neuen Kulturgeschichte zieht sich diese lebenspraktische, aber auch reflexive Form der kulturellen Sinnsuche als roter Faden durch die Debatten. Es soll sich bei den vorgeschlagenen Themen in keiner Weise um einen dogmatischen oder abgeschlossenen Forschungskatalog handeln, sondern um den Aufruf, über sie hinauszudenken.

  • Inklusion und Exklusion

Alle Formen der Identitätskonstruktion sind als einen ihrer Kernmechanismen immer mit Vorstellungen davon verbunden, wer zur zu konstituierenden Gruppe zu zählen sei und wer nicht. Es geht also immer auch um kulturelle Inklusions- und Exklusionspraktiken. Die Neue Kulturgeschichte hat hierbei insbesondere der Nationalismusforschung seit den frühen 1980er-Jahren im Anschluss an Benedicht Anderson sehr viel zu verdanken.9 Es ist zu thematisieren, inwiefern es sich auch bei den Identitätsgruppen, die unter den Vorzeichen der Produktion und Verbreitung der harten Musik entstanden, um “imagined communities” handelt. Hier kann man etwa an die “Szene” des Heavy Metal als “vorgestellte Gemeinschaft” denken, die ihre geteilten Identitätspraktiken vor allem in ihrer Entstehungsphase der 1980er-Jahre  auch im konstruierten Kontrast zum popkulturellen “Mainstream” und dessen Publikumsgruppen entwarf.

  • Authentizität, “Wahrheit” und Essentialismus

Es verhält sich so, dass im Zuge des Aufkommens des Poststrukturalismus (heute vor allem verbunden mit dem Werk Michel Foucaults)10 ein dekonstruktiver Denkmodus in den Geschichts- und Kulturwissenschaften Einzug hielt, der den vorherrschenden Positivismus und Essentialismus grundsätzlich in Frage stellte. Im Sinne der heute dominierenden postmodernen Formen der Historiographie sind Positionen, die die “Echtheit”, die “Authentizität” oder die “Wahrheit” von einzelnen Kulturen oder Kulturräumen einforden (etwa einer bestimmten Nation oder auch Europas), nicht mehr haltbar. Es ist so, dass Kulturen heute als Gefüge von Diskursen, als soziale Konstruktionsfelder begriffen werden.11

Es ist jedoch auch der Fall, dass in vielen Bereichen der harten Musik Konzepte des “Wahren”, der “Authentizität” und des Essentialismus noch vorherrschend sind. So im Subgenre des True Metal, der für sich beansprucht, die “wahre” Form der Metal-Kultur zu vertreten. Ganz ähnlich im Anspruch die Kultur des Black Metal, die auch teils Authentizität einfordert. Genauso im essentialistischen Kulturmodus präsentieren sich viele Bands und MusikerInnen des Folk und Pagan Metal, die ihre Musik als Hinwendung zu den “alten” und “wahren” Sichtweisen paganer Lebensformen präsentieren. Es gilt, angesichts dessen zu erforschen, wie Konzepte von “Echtheit” und “Authentizität” in der harten Musik auftreten und in welchem Zusammenhang diese mit den Anforderungen des Dekonstruktivismus der Postmoderne stehen.

  • “Mainstream”, Devianz und die Produktion von Normativität

Eines der wichtigsten kultur- und sozialpolitischen Themen der harten Popmusik war von Anbeginn weg das Bedürfnis, sich vom popkulturellen “Mainstream” wegbewegen zu wollen, Rebellion und Opposition zu kultivieren sowie zu leben, um ein kulturelles “Anders-Sein” zu erlangen. Dies ist heute mit einer enormen Ambivalenz versehen – die harte Musik, heute vor allem Heavy Metal in all seinen Facetten, rückt immer stärker in die Mitte der europäischen und globalen Kulturen vor. Der deutsche Kultur- und Sprachwissenschafter Jürgen Link hat in der jüngeren Forschungsdebatte untersucht, wie Normalität in Diskursen “produziert” wird.12 Es ist für den heutigen Kontext der harten Musik zu untersuchen, inwiefern “Normal-Sein” und “Anders-Sein” zusammenspielen; es ist jedoch auch in historischer Perspektive auf diese mögliche Themenlinie zu blicken.

  • Ästhetik, Symbole und Bilder

Die Kultur der harten Musik ist seit den 1970er-Jahren, hier vor allem im Rahmen der ersten Formen von Hard Rock, Heavy Rock und Heavy Metal mit einer eigenen Symbolik und Ästhetik verbunden. Es geht um Themen der “Dunkelheit”, der “Düsternis”, der Lebensabgewandtheit, des Todes, der “Härte” sowie deren Vermittlung. Es wäre zu untersuchen und zu thematisieren, wie sich diese Ästhetik entwickelte und wo sie ihre Wurzeln hatte. Kurz, es wäre ihre Geschichte zu schreiben.

  • Historizität und Vergangenheitsbewältigung

Im Heavy Metal und all seinen Unterspielformen werden vor allem auch seit den 1980er-Jahren historische Konzepte, Themen und Epochen breit rezipiert und thematisiert. So ist besonders seit den 1990er-Jahren eine starke Hinwendung eines Teils der “Szene” zur Epoche des Mittelalters zu beobachten. Ferner wenden sich viele MusikerInnen des Subgenres des Black Metals Themenbereichen der Geschichte des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs zu. Hier gibt es auch gefährliche Entwicklungen, die nazistische Ideologien vertreten (die Debatte um den “National Socialist Black Metal” wird heftig geführt; ich möchte mich auf jede Weise vom Neonazismus distanzieren).

Ferner wird die nordische und skandinavische Geschichte – mythologisch aufgeladen und für heute aktualisierend – von den sogenannten Viking Metal-MusikerInnen verarbeitet. Es handelt sich also um ein ganzes Ensemble von Diskursen in der harten Musik, die die Geschichte und Vergangenheit thematisieren. Es wäre nun daran gelegen, zu erforschen, welche Narrative diese Diskurse konstruieren und wie diese an breitere Debattenfelder vermittelt werden. Kurz, es ist harte Musik als “musikalische Historiographie” zu beleuchten.

  • Performativität

Ein weiterer Aspekt der im Sinne der jüngeren Kulturgeschichte zu untersuchen ist, ist die Performativität der “harten” Musik. Die jüngerer kulturgeschichtliche Forschung hat sich im Anschluss an die Forschung zur Theatralität auch der Performanz zugewandt.13 Man erkannte und erkennt immer stärker, dass Identitäten und Sinn nicht nur durch Texte und Bilder generiert werden, sondern auch durch  Handlungen und Performances. Dies ist im Themenbereich des heutigen Heavy Metal ein breites Thema: Vieles der Bedeutung, die diese Musikformen stiften, entsteht durch Handlungen mit kulturellem Aufführungscharakter – hier ist vor allem an Konzerte, Tourneen und Liveaspekte zu denken. Auch dies ist in eine Kulturgeschichte der harten Musik zu integrieren.

  • Geschlechterrollen, -konstruktionen und -dekonstruktionen

Vor allem die Kultur des Heavy Metal steht seit jeher in Verruf, patriarchalische, sexistische und frauenfeindliche Klischees und Stereotypen zu propagieren und zu vertreten. Auch wenn es in den besonders “inkriminierten” Stilen (vor allem etwa im Black Metal) zunehmend auch weibliche Musikerinnen gibt, so sind die Geschlechterrollen und -konstruktionen des Genres zu thematisieren und bei Bedarf auch in emanzipatorischer und kritischer Weise zu dekonstruieren. Auch dies ist eine Aufgabe einer einschlägigen Kulturgeschichte.

  • Homosexualität, Homophobie und Queer-Kulturen

Ähnlich zu den Aspekten der Geschlechterstereotypen wird den Kulturen der harten Musik nachgesagt, außerordentlich homophob zu sein. Zwar gibt es seit einigen Jahren etliche Fälle von prominenten MusikerInnen, die sich öffentlich zu ihrer Homosexualität bekennen (man denke etwa an Rob Halford von Judas Priest oder Krisitian Eivind Espedal, Ex-Sänger von Gorgoroth). Es ist nicht “eins zu eins” das Thema der Homophobie im Heavy Metal zu übernehmen. Auch dies ist ein empirisches Klischee. Es ist jedoch im  Anschluss an das Freiheits- und Toleranzparadigma der europäischen Kulturgeschichte in kritischem Sinne zu untersuchen, wie Diskursfelder der Homosexualität, der Homophobie und von Queer-Kulturen in der harten Musik gelebt und konstruiert werden.

  • Aggression, Wut und Hass

Die Geschichte der Gefühle und Emotionen, die schon mit der Psychohistorie erforscht wurde, rückt seit einiger Zeit wieder in den Fokus des kulturgeschichtlichen Interesses. Auch im Kulturbereich der harten Musik sind Gefühle ein umfassendes Thema. Vor allem Emotionen im Spektrumsbereich von Aggression, Wut und  Hass sind im Heavy Metal und all seinen Spielformen hochpräsent – sie sind scheinbar die “genuinen” Gefühle der harten Musik. Im Sinne des Dekonstruktivismus der Neuen Kulturgeschichte gilt es, zu beleuchten,  wie diese Gefühle als mentaltitäsgeschichtliches Leitmuster und Habitus die einschlägigen Diskurse prägen.

  • Gewalt und Krieg

Vor allem im Black Metal, Death Metal und Thrash Metal, die sich seit den 1980er-Jahren entwickelten, sind Themenbereiche im Spektrum von Gewalt und Krieg stark vertreten. Es kann hier nicht darum gehen, diesen Spielformen in ganz allgemeiner Weise vorzuwerfen, dass sie Gewalt und Gewaltbereitschaft fördern und den Krieg verherrlichen. Es ist viel mehr auf subtilere Weise zu untersuchen, wie diese Themenbereiche erarbeitet werden, um Opposition und “Anders-Sein” im Gegensatz zum “Mainstream” auszudrücken. Dies entspricht einem dekonstruktivistischen Zugriff.

  • Religiosität

Seit jeher waren mit der Kulturgeschichte der harten Musik auch Aspekte der Religiosität verbunden. In der Regel ging es darum (so schon etwa bei Black Sabbath in den frühen 1970er-Jahren) Opposition zum Christentum und anderen monotheistischen Glaubensformen auszudrücken und zu leben. Heute gibt es durchaus auch etliche christlich orientierte Metal-MusikerInnen (im sogenannten White Metal). Im Sinne einer postmodernen Kulturgeschichte könnte es darum gehen, die Religiosität in der harten Musik als Form der Sinn- und Identitätssuche zu beleuchten. Die betrifft genauso das “Neuheidentum” im Folk und Pagan Metal sowie den Satanismus im Black Metal oder das schon genannte Christentum im White Metal. Ich möchte mich schon an dieser Stelle ganz grundlegend von allen Fundamentalismen distanzieren. Toleranz gehört heute zu Europa – auch im religiösen Bereich.

  • Politik und Ideologien

Obwohl ein großer Teil der MusikerInnen in der harten Musik mit dem Anspruch auftritt, “unpolitisch” zu sein, spielen Themen des Politischen und des Ideologischen in diesen Musikformen der Popkulturen eine große Rolle. Dies kann darin bestehen, Kritik und Opposition zu den vorherrschenden Formen der Gesellschaftskonstituion zu üben; es kann aber auch darum gehen, ganz explizit – links-, konservativ oder rechtsorientiert – politisch Position zu beziehen. Auch dies ist Teil der Kulturen der harten Musik. Schon an dieser Stelle möchte ich mich wiederum ganz explitzit von allen extremistischen, insbesondere den schon genannten neonazistischen Spielformen distanzieren. Ihre Kulturforderungen haben mit einer europäischen Kultur nichts zu tun.

  • Mediatisierung

Ein grundsätzlicher Aspekt der Kulturgeschichte der Popgeschichte ist allgemein ihre mediale Vermittlung. Kultur in diesem Sinne kann nur erfolgreich sein und ihre AdressatInnen ereichen, wenn sie Öffentlichkeit und mediale Aufmerksamkeit hat. Hierzu wurde für die breitere Popkultur bereits viel geforscht. Auch für die harte Musik liegen einige Diskursbeiträge vor. Im Sinne einer dekonstruktvistischen Kulturgeschichte der harten Musik könnte es in den Mittelpunkt rücken, die Mediatisierung ihrer Spielformen zu untersuchen. Kultur ist immer Kommunikation. Sie gilt es auch in den Blick zu nehmen.

Mit diesen Themenbereichen und narrativen Fokussierungen habe ich versucht, einige Kernaspekte einer zu begründenden und zu entwickelnden Kulturgeschichte harter Musik zu nennen. Diese Liste ist weder abgeschlossen noch dogmatisch oder exklusiv; vielmehr soll sie einen Aufruf darstellen, noch über sie hinauszudenken. Sie kann aber als erster “heuristischer Kompass” im momentanen Feld der “Metal Music Studies” und der “Heavy Metal Studies” dienen; mehr ist es vorläufig aber noch nicht. Ich suche mit diesem Blogbeitrag ganz bewusst den Kontakt zu KollegInnen und Interessierten.

Ein (vorläufiges) Fazit: Harte Musik als “kultureller Ort”

Ganz zum Schluss dieser Prolegomena zu einer Kulturgeschichte harter Musik soll noch der Versuch geleistet werden, diese Kulturform möglichst umfassend in einen theoretischen Begriff zu fassen. All diese Themen und narrativen Zugriffe münden darin, die harte Musik als einen kulturellen Ort zu sehen. Im Sinne der genannten Bereiche und Themen ist die harte Musik ein Identitätsort, ein Zeitort, ein Raumort, ein Gedächtnisort, ein Gefühlsort, ein Religionsort, ein Geschlechtsort sowie ein Politikort. Kurz, ganz allgemein definiert und betrachtet ist die harte Musik ein kultureller Ort.

Sie erschafft ihren eigenen Raum und ihre eigene Zeit, die den MusikerInnen, den VerbreiterInnen, schließlich aber vor allem dem Publikum eine Chance bietet, sich in der überfordernden Gegenwart des Informationsdrucks unserer Tage kulturell zu verorten. Die harte Musik ist ein kultureller Ort, an welchen sich die ZuhörerInnen in dem Maße begeben können, wie sie es wollen. Harte Musik bedeutet daher ein Stück von kultureller Freiheit, Autonomie und Demokratie in einer Epoche, in der der beständige kulturelle “Geständniszwang” zur Regel geworden ist.


  1. Vgl. etwa folgenden Einführungsband: Silvia Serena Tschopp/Wolfgang Weber: Grundfragen der Kulturgeschichte. Darmstadt 2007; siehe auch: Peter Burke: Was ist Kulturgeschichte? Frankfurt/Main 2005. 

  2. Vgl. hierzu folgenden Beitrag: Achim Landwehr/Stefanie Stockhorst: Einführung in die europäische Kulturgeschichte. Wien u.a. 2004; sowie spezifischer zur Identitätsgeschichte der Europäischen Union jüngst: Peter Pichler: Leben und Tod in der Europäischen Union. Innsbruck u.a. 2014. 

  3. Vgl. hierzu im Sinne einer dekonstruktiven “Europäistik” folgenden Debattenbeitrag: Wolfgang Schmale: Die Bedeutung der Europäistik für die Geschichtswissenschaften. In: Michael Gehler/Silvio Vietta (Hg.): Europa – Europäisierung – Europäistik. Neue wissenschaftlichen Ansätze, Methoden und Inhalte. Wien u.a. 2010, S. 111-120. 

  4. Vgl. hierzu folgenden Sammelband: Roman Bartosch: Heavy Metal Studies. Bd. 1: Lyrics und Intertextualität. Oberhausen 2011; siehe auch folgenden Tagungsband:  Rolf F. Noor/Herbert Schwaab (Hg.): Metal Matters. Heavy Metal als Kultur und Welt. Münster 2011; siehe auch: Colin A. McKinnon u.a. (Hg.): Can I Play with Madness? Metal, Dissonance, Madness and Alienation. Oxford 2011; online unter: http://www.inter-disciplinary.net/wp-content/uploads/2011/03/mmp3ever1140211.pdf, abgefragt am 6. September 2014; siehe auch: Nial Scott/Imke von Helden (Hg.): The Metal Void. First Gatherings. Oxford 2010; online unter: http://www.inter-disciplinary.net/wp-content/uploads/2010/04/mmp1ever3150410.pdf, abgefragt am 6. September 2014; schließlich siehe noch diesen Beitrag: Rosemary Hill/Karl Spracklen (Hg.): Heavy Metal Fundamentalisms. Music, Metal and Politics. Oxford 2010; online unter: http://www.inter-disciplinary.net/wp-content/uploads/2010/02/mmp2ever1150210.pdf, abgefragt am 6. September 2104.  

  5. Vgl. hierzu: http://www.intellectbooks.co.uk/journals/view-Journal,id=236, abgefragt am 6. September 2014. Die Homepage mit Informationen zur Zeitschrift. 

  6. Vgl etwa: Christoph Arnoldner: Einfluss und Wirkung von Jugendkulturszenen auf das Individuum. Dargestellt am Beispiel der Heavy Metal-Szene. Dipl.-Arb., Wien 2012; sowie:  Markus Dröschner: Heavy Metal. (Selbst)darstellung einer Subkultur. Mag.-Arb., Wien 2012; und: Dimitrios Poultidis: Musiksubkulturelle Kommunikation. Eine Analyse am Beispiel der ‘Heavy Metal’-Subkultur. Univ.-Diss., Salzburg 2008; auch: Susanne Sackl: Männerbilder im musikalischen Genre Heavy Metal. Eine Videoclipanalyse. Masterarb., Graz 2010; und:  Armin Schedelmann: Heavy Metal. Eine Anleitung zum schwermetallischen Erfolg. Dipl.-Arb., Salzburg 2008; sowie: Michael Walzl: Authentizitätskonzepte im Heavy Metal. Wie aufklärerische Ansätze der Moderne postmodern gespielt werden. Dipl.-Arb., Graz 2011; schließlich: Ursula Weiermann: Heavy Metal. Entstehung und Entwicklung. Dipl.-Arb., Wien 2006. 

  7. Siehe etwa: www.lsf.zv.uni-siegen.de/qisserver/rds?state=verpublish&status=init&vmfile=no&publishid=79993&moduleCall=webInfo&publishConfFile=webInfo&publishSubDir=veranstaltung: Seminar an der Universität Siegen von Sven Gringmuth, M.A., zum Thema “Überlegungen zur Kulturgeschichte des Heavy Metal” im WS 2014/15; auch: www.modernheavymetal.net: Website der Konferenz “Modern Heavy Metal: Markets, Practices and Cultures” an der Aalto University School of Business, Helsinki, Finnland, im Frühjahr 2015; sowie: www.udayton.edu/artssciences/graul_chair/rrw/events/1106_heavy_metal_conference.php: Homepage zur Tagung “Metal and Cultural Impact” an der Universität Dayton, Ohio, USA, im Herbst 2014; schließlich: www.metalconferencecologne.de: Homepage der Konferenz “Heavy Metal and Politics: Zwischen Utopie und Ideologie an der Universität zu Köln, Köln, Deutschland, im Herbst 2013. 

  8. Vgl.: Ian Christe: Höllen-Lärm. Die komplette, schonungslose, einzigartige Geschichte des Heavy Metal. Höfen 2005; auch: Christoph Lücker: Das Phänomen Heavy Metal. Ein Szene-Porträt. Oberhausen 2011; sowie: Frank Schäfer: Heavy Metal. Geschichten, Bands und Platten. Leipzig 2001. 

  9. Vgl. hierzu: Benedict Anderson: Imagined Communities. Reflections on the Origins and Spread of Nationalism. London u.a. 2006. 

  10. Vgl. zur Einführung in den Diskurs um das Denken Foucaults: Philipp Sarasin: Michel Foucault zur Einführung. Hamburg 2005. 

  11. Vgl. hierzu aus der Forschung folgenden Sammelband: Michael Rössner/Heidemarie Uhl (Hg.): Renaissance der Authentizität? Über die neu Sehnsucht nach dem verlorenen Ursprünglichen. Bielefeld 2012. 

  12. Vgl. hierzu vor allem: Jürgen Link: Versuch über den Normalismus. Wie Normalität produziert wird. Bielefeld 2006. 

  13. Vgl. hierzu vor allem das Diskursumfeld um Erika Fischer-Lichte; hierzu insbesondere diesen Sammelband: Dies. u.a. (Hg.): Theatralität als Modell in den Kulturwissenschaften. Tübingen u.a. 2004.